Adolf Moritz Steinschneider – Biographische Daten
Berlin 1894 - 1925
Adolf Moritz Steinschneider wird am 20. Juni 1894 als ältester Sohn
des Rechtsanwalts und Justizrats Max Steinschneider und dessen Frau Leopoldine,
geb. Fischlowitz, in Berlin geboren. Sein Großvater ist der berühmte
Judaist Moritz Steinschneider (1816 - 1907). Der Vater Max Steinschneider
beteiligt sich an der Gründung von Konsum- und Genossenschaftsvereinen
und ist Mitbegründer der Deutschen Liga für Menschenrechte.
1899 und 1900 kommen die Brüder Gustav und Karl zur Welt.
Justizrat Max Steinschneider, Leopoldine, geb. Fischlowitz, Adolf Moritz
Nach einer behüteten Kindheit in der vom Vater gegründeten
Villenkolonie Döberitz und dem Besuch des Französischen Gymnasiums
in Berlin studiert Steinschneider Rechts- und Wirtschaftswissenschaften
in Berlin und München. Etwa seit 1915 Bekanntschaft mit Adrien Turel.
1917 wird Steinschneider zum Kriegsdienst einberufen, zeitweise stationiert
in Krossen. Im Jahr darauf Versetzung ins Pressearchiv des Auswärtigen
Amtes in Berlin.
1918/19 beteiligt sich Steinschneider in Berlin auf Seiten der Spartakisten
aktiv an der Revolution. Nach dem gescheiterten Spartakusaufstand im Januar
1919 wird er verhaftet und zu einer Gefängnisstrafe verurteilt, die
er von Juni 1919 bis März 1920 in Berlin-Plötzensee absitzt.
Nach der Haftentlassung Fortsetzung der juristischen Ausbildung am Berliner
Kammergericht und in der Anwaltskanzlei Max Tucholski & Felix Wolff;
1923 Assessorenexamen.
Seit Beginn der Zwanziger Jahre zusammen mit Adrien Turel und dem Bruder
Gustav Teilnahme an Treffen der Arbeitsgemeinschaft für biogenetische
Psychologie, einem Kreis junger Intellektueller und Künstler um den
Berliner Psychologen Arthur Schinnagel.
Selbstportrait
Frankfurt a. M. 1926 - 1933
1926 übernimmt Steinschneider nach kurzer Anwaltstätigkeit
in Celle die Kanzlei von Dr. Seckel in Frankfurt a. Main (Untermainkai
20), in der er nach eigener Darstellung „mit Politik, wirtschaftlich
zusammengebrochenem Bürger- und Hochstaplertum, Proletariern, Ehescheidungen,
Alimenten und Künstlerhonoraren, schließlich auch mit Strafsachen“
zu tun hat.
1927 werden Steinschneiders Kinder Marie-Louise und Stefan geboren. Die
Tochter Marie-Louise am 7. Juni von Eva Reichwein, geb. Hillmann (zu diesem
Zeitpunkt offiziell noch verheiratet mit dem Pädagogen Adolf Reichwein);
der Sohn Stefan am 18. September von Frieda Kätzler. Frieda Kätzler
und Steinschneider haben wahrscheinlich 1926 geheiratet. Die Ehe wird
bald nach der Geburt des Sohnes geschieden, die Beziehungen zu Frieda
Kätzler bleiben jedoch freundschaftlich.
1928 erregt Steinschneiders politisch akzentuierte Verteidigung des Mörders
Friedrich Wiechmann, der aus sozialer Not seine Frau und seine drei Kinder
umgebracht hatte, reichsweites Aufsehen. Den Verlauf des spektakulären
Prozess, in dem auch der Sexualwissenschaftler Magnus Hirschfeld als Sachverständiger
gehört wird, dokumentiert der erste Band der Schriften zur Psychologie
und Soziologie von Sexualität und Verbrechen (Stuttgart 1928).
Von etwa 1927 bis 1930 wohnt Adrien Turel in Steinschneiders weitläufiger
Frankfurter Kanzlei und Wohnung am Untermainkai 20. Mit Steinschneiders
Unterstützung publiziert Turel unter dieser Adresse im Selbstverlag
1928 die Broschüre Keinen Gott als nur die Menschheit. Einfügung
der Diagonalkategorie des Werdens in das Sein und in die Arbeit.
Steinschneiders politische Sympathien gelten der Linken, ohne dass er
je einer Partei beigetreten wäre. Für die Kommunistische Partei
tritt er in Frankfurt im Kontext politischer Prozesse öffentlich
als Redner auf, seine politische Heimat sieht er aber eher bei der Sozialistischen
Arbeiterpartei (SAP), die 1931 aus dem Zusammenschluss linksoppositioneller
Gruppierungen der SPD entsteht. Zu Steinschneiders Freunden und Bekannten
zählen u.a. Paul Frölich, Joseph Lang (Jola), Arthur Rosenberg,
Karl Korsch und Wolfgang Abendroth. Steinschneider tritt auf als Rechtsberater
der Roten Hilfe, der Deutschen Friedensgesellschaft und der Deutschen
Liga für Menschenrechte. Er ist außerdem anwaltlicher Vertreter
der sowjetischen Handelsmission in Deutschland.
In den letzten Jahren der Weimarer Republik häufen sich die politischen
Verfahren, in denen Steinschneider vor allem linke Sozialdemokraten und
Kommunisten verteidigt. Im Kampf gegen den aufziehenden Nationalsozialismus
und dessen zunehmende Akzeptanz in weiten Kreisen des Bürgertums
wird er selbst zur Zielscheibe öffentlicher Hetze. Zu seinen Gegnern
in verschiedenen politischen Prozessen zählen u.a. die der Nationalsozialistischen
deutschen Arbeiterpartei angehörigen Juristen Friedrich Krebs, Jakob
Sprenger und Roland Freisler.
Schweiz und Frankreich 1933 - 1944
Einen Tag nach dem Reichstagsbrand am 27. Februar 1933 flieht Steinschneider
- gewarnt von einem Polizisten - Hals über Kopf in die Schweiz. Steinschneiders
Wohn- und Büroräume am Untermainkai werden von SA-Trupps verwüstet.
Die Schweizer Ausländerbehörde gewährt dem in Zürich
lebenden Emigranten zwar das Duldungsrecht, gestattet ihm jedoch weder
das Recht auf Arbeit noch zu politischer Tätigkeit. Eva Reichwein
und Friederike Kätzler folgen Steinschneider mit den beiden Kindern
in die Schweiz nach. Eva Reichwein kehrt im Sommer 1934 aus familiären
Gründen mit der Tochter Marie-Louise zunächst wieder nach Frankfurt
zurück. Die Brüder Karl und Gustav emigrieren nach Palästina.
Erste Versuche publizistischer Tätigkeit. Materielle Unterstützung
findet Steinschneider u.a. bei Serge Turel, dem Bruder seines Freundes
Adrien Turel. Von Adrien Turel distanziert er sich wegen dessen zweideutiger
Haltung zum Nationalsozialismus. Steinschneider nimmt regen Anteil an
politischen Veranstaltungen und Diskussionen, u.a. pflegt er Kontakte
zu dem Arzt und Anarchisten Fritz Brupbacher und dem Verleger Emil Oprecht.
Februar 1935 Darmoperation. Im März 1935 schickt Steinschneider
sein Bühnendrama Neues Traumspiel an Friedrich Wolf (New York)
sowie an die Regisseure Lindtberg (Zürich und Tel Aviv) und Burjan
(Prag). Erwägungen nach Palästina zu emigrieren.
Im Juni 1935 nutzen die Schweizer Behörden eine Reise Steinschneiders
nach Paris, dem politisch auffälligen Emigranten das Asylrecht zu
entziehen und ihn auszuweisen. Nunmehr völlig mittellos ist Steinschneider
in Paris auf die finanzielle Hilfe seiner in Palästina lebenden Brüder
Karl und Gustav angewiesen. Seine Versuche, als juristischer Gutachter,
als Handwerker oder Handelsvertreter den Lebensunterhalt zu bestreiten,
haben meist keinen oder nur kurzfristig Erfolg.
Steinschneider schreibt zahlreiche politische und sozialkritische Texte.
Seine umfangreichen Briefe an den Bruder Gustav in Palästina betrachtet
er als Chronik des Exils und Ideentagebuch.
1937, zusammen mit dem Schriftsteller Anselm Ruest und dem Rechtsanwalt
Alfred Apfel, Gründung der Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft
und Kunst im Ausland (Entr’ aide des savants et gens de Lettres
Allemands réfugiés). Rege Teilnahme am politischen und kulturellen
Leben der deutschen Emigration in Paris. Kontroverse mit Georg Bernhard.
- Koautor der vom Jüdischen Weltkongress im Frühjahr 1937 herausgegebenen
Broschüre Der wirtschaftliche Vernichtungskampf gegen die Juden im
Dritten Reich. Steinschneider verfasst den Teil Strukturelle Veränderungen
in der jüdischen Bevölkerung Deutschlands seit April 1933.
Im April 1938 kommt Eva Reichwein wegen der immer bedrohlicher werdenden
Judenpolitik in Deutschland mit der Tochter Marie-Louise zu Steinschneider
nach Paris. Die materielle Lage der Familie wird allmählich erträglicher,
da Eva Reichwein aufgrund ihrer manuellen Fähigkeiten leichter Arbeit
finden kann,
Nach der britisch-französischen Kriegserklärung an das Deutsche
Reich am 3. September 1939 wird Steinschneider als deutscher Staatsangehöriger
in verschiedenen Lagern interniert, u.a. in Villerbon bei Blois (Loire),
danach in Montmorillon. Eva und Marie-Louise müssen Paris verlassen
und ziehen auf der Suche nach Steinschneider (nach einer Station in Angers)
schließlich nach Blois.
Nach der Invasion deutscher Truppen in Frankreich flieht die Familie
im Juni 1940 auf getrennten Wegen in den südlichen Teil des Landes.
Eva und Marie-Louise kommen dauerhaft in dem Städtchen Bellac
bei Limoges unter; Steinschneider wird nach den Gesetzen der Vichy-Regierung
erneut interniert und muss als Prestataire-Soldat in verschiedenen Lagern
(darunter Mauriac) zeitweise Schwerstarbeit leisten. Schwer erkrankt wird
er schließlich zuerst in ein Krankenhaus in Clermont-Ferrand, danach
in ein Lager für Dienstuntaugliche verlegt und im Sommer 1942 nach
Bellac entlassen.
Es folgen zwei hoffnungsvolle Jahre unter äußerst bescheidenen
Lebensbedingungen in Bellac. 1942 heiraten Adolf und Eva. Beschäftigt
mit der Arbeit an seinem Buch Menschheit und Polarität erwartet
Steinschneider das Ende des Krieges und die Rückkehr in seine Heimat,
um beim Neuaufbau eines demokratischen Deutschland mitwirken zu können.
Am 10. Juni 1944 verübt das SS-Bataillon „Das Reich“
das Massaker in Oradour sur Glane. Am Tag darauf, den 11. Juni 1944, ziehen
SS-Truppen auch durch das 40 km entfernte Städtchen Bellac. Bei dem
Versuch, sich außerhalb Bellacs zu verstecken, wird Steinschneider
von SS-Truppen abgefangen und zusammen mit seinem Freund Hans Lauterbach
verschleppt und erschlagen. Der genaue Ort seines Todes und seines Grabes
sind bis heute nicht bekannt.
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